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Vor einiger Zeit Wochen hatten wir einen Massenausbruch… 11 Kinder haben ein Gitter vor dem Fenster während der Nacht einfach runtergerissen und haben dann versucht, über die Dächer zu flüchten. Vier  haben den ersten Sprung nicht geschafft, fünf konnten vom ersten Dach nicht runterspringen und einer wurde, noch ehe er wegrennen konnte, gefasst.Der Sprung

Dieser Ausbruchsversuch folgte dem Ausbruch von zwei unserer ältesten Kids, die sich nachts einen Schlüssel besorgt haben und durch die Feuerwehrtreppe geflohen sind. Ihr Erfolg hat die anderen wohl ermutigt.

Das runtergerissene GitterDie Fassung des Gitters

Die Folgen des Ausbruchs waren abzusehen:  Alle Freiheiten, die die Kinder über die letzten Monate bekommen hatten, wurden gestrichen. Die Kinder werden wieder eingesperrt, sogar  beim Wasserholen begleitet und ihnen wurde eine Woche lang das Carambole-Spiel verboten… die wohl härteste Bestrafung! Das war eine der schwierigsten Wochen, die ich mit ihnen erlebt habe – die Kinder sind echt verrückt geworden. Sie hatten absolut nichts,  um sich abzulenken… Wir haben dann zwei  Uno-Spiele gekauft, um sie wenigstens mit irgendetwas zu beschäftigen!

– Seit mehreren Woche arbeite ich Dienstags und Donnerstags in Rambagan, dem größten Rotlichtviertel von Kolkata. Als einer der Brennpunkte Kolkatas hat Cini Asha eine große Anzahl von Projekten dort, insbesondere Aufklärungsaktionen über Verhutungsmittel, AIDS, usw.

Ich und Svenja haben dort angefangen in einer Abendschule zu unterrichten, wobei es sich eigentlich um Schulaufgabenbetreuung handelt. Das Projekt soll Kinder aus dem Rotlichtviertel abends einen Schutz bieten, bis ihre Eltern von der Arbeit zurück sind. Wir helfen Schülern der siebten Klasse bei ihren Englisch- und Mathe-Schulaufgaben. Die Kinder kommen aus ganz vielen verschiedenen Schulen: Bengali, Hindi oder Englisch sprachigen middle schools.

– Die Abendschule befindet sich direkt neben einem Park, sodass wir manchmal, wenn alle Kinder ihre Schulaufgaben beendet haben, mit ihnen dort spielen gehen. Hinter den Büschen findet man, wie auf manchen deutschen Spielplätzen, gebrauchte Spritzen. Regelmässig schickt Cini Asha Freiwillige aus dem Viertel, um diese Art von Müll einzusammeln und zu entsorgen.

Das Schulgebäude an sich ist so wie man sich ein indisches Schulgebäude vorstellt: ziemlich heruntergekommen, kleine Klassenräume mit vielen Schülern, Bänken, die eigentlich zu klein sind und die einem nach einer Stunde immense Rückkenschmerzen garantieren. Das “Trinkwasser” sieht auch aus als wäre es aus dem Hoogly River geschöpft.

– Die Kinder kommen aus ganz unterschiedlichen Familien. Für einige ist die Abendschule ein Schutz vor der Gewalt in den Straßen oder zuhause, für andere ist es nur ein Ort, wo sie sich mit anderen treffen, um zu spielen. Und diese Kinder schaffen es zusammen zu spielen, zusammen zu lernen, sich gegenseitig zu helfen. Eine Geschichte von einem Aschenputtle-Mädchen hat mich besonders berührt. Sie lebt mit ihrer Stiefmutter zusammen und bekommt von dieser noch nicht mal Essen. Sie ist angewiesen auf das Geld, dass ihr Vater ihr einmal wöchentlich da lässt, bevor er wieder für die Woche zum Arbeiten verschwindet. Bei einem ein-wöchigen Traning haben zwei Klassenkameraden ihr Salvas geliehen, damit sie nicht immer mit dem einzigen Salva, den sie hat, auftauchen muss. Solche Geschichten sind natürlich wunderbar und einer der Gründe, warum dieses Projekt in Rambagan so erfolgreich ist – auch die Medien berichten regelmäßig darüber.

– Durch die Arbeit in der Abendschule ist mir aber auch das Ausmass eines grundlegenden Problems Indien klar geworden. Knapp über 60% der Inder können lesen, schreiben und rechnen. „Meine“ Schüler wird sicher in diesen 60% mitgezählt und DAS ist beängstigend. Denn nach 7 Jahren Englisch können selbst die Kinder der “english middle schools” (d.h. Physik, Geschichte, usw. – alles auf English) keine simple Konversation auf Englisch führen… Selbst schriftlich erkennt man, dass diese Kinder weder die englische Spache, noch den Unterrichtsstoff verstehen. Also bringt ihnen der Unterricht gar nichts. (Die Abendschule und öffentlichen Schulen, auf die die Kinder gehen, haben nichts miteinander zu tun!) In Mathe habe ich vom Lehrer falsch korrigierte Aufgaben in den Heften gefunden, ganz zu schweigen von Fehlern in den Aufgaben. Ich kann in meinen zwei Stunden wöchentlich nicht viel daran richten und versuche immer ganz präzise Punkte zu behandeln, damit sie diese wenigstens ganau verinnerlichen. Doch an  der Ausbildung und dem Bildungssystem muss sich so vieles grundlegend ändern, und es muss sehr viel (besonders Geld) investiert warden, wenn Indien sich weiterentwickeln möchte. Ich habe auch gelesen, dass viele unterbezahlte Lehrer noch nicht mal zum Unterricht erscheinen und stattdessen bei den Reichereren Privatunterricht geben. Dadurch sollen 20% des Unterrichts ausfallen, oft sogar mehr… Die Korruption (der Beamten, die mit der Aufsicht beauftragt sind) existiert natürlich auch im Bildungssystem und macht eine zeitgemäße Entwicklung schwer.

Am 30.05. wurde in West-Bengalen gewählt. Die Flaggen vermehrten sich stetig seit zwei Monaten. Eigentlich hängen immer Flaggen und Banner der verschiedenen Parteien in den Strassen, deshalb habe ich davon anfangs keine Notiz genommen. Doch als dann ca. vor einem Monat fast täglich Demonstrationenden Strassenverkehr störten, fragte ich meine Kollegen. Etwas verdutzt über mein Unwissen meinten sie: Aber es sind doch Wahlen. Und nicht irgendwelche Wahlen, nein DIE Wahlen. West-Bengalen wird seit 32 Jahren von der Left Front (eine Ansammlung von linken Parteien um die Kommunistische Partei herum) regiert, aber der Wind scheint sich gewendet zu haben. Es wird prognostiziert, dass nun die Trinamool, eine rechte Partei gewinnen wird.

Mir wird auch geraten, den politischen “Mobs” aus dem Weg zu gehen, da sie nicht immer friedlich sind. Am besten sollte ich am Tag der Wahlen gar nicht erst vor die Haustür gehen, da Kämpfe zwischen den Anhängern der Parteien ständig ausbrechen. Die Zeitungen sind voll von Berichten über die Exzesse der Anhänger aller Parteien. Besonders prangern die Zeitungen das Bemalen der Häuser an.  Normalerweise braucht man dafür eine Erlaubnis, aber das wird nicht respektiert. Das Neustreichen der Fassade wird dann den Inhabern oder Bewohnern überlassen. Klar, Farbe statt Banner oder Plakate ist das Propagandamittel der Mittellosen…TMC on the Wall

Ich werde auch von meinen Kollegen vor Terroranschlägen gewarnt… Und was passsiert am Tag vor den Wahlen. Die Naxaliten oder Maoisten haben einen Zug zum Entgleisen gebrachte, auf den dann auch noch mit einem anderen Zug kollidierte – 165 Tote und 250 Verletzte. Es war derNachtzug von Kolkata nach Mumbai. Wir gehen trotzdem arbeiten am Wahltag,  denn schließlich ist Samstag ein regulärer Arbeitstag. Ein Wahllokal

Dann bin ich doch etwas “enttäuscht” vom Tag der Wahlen selber, es verläuft alles friedlich. Ein Passant meint zu mir, dass ich eine bestimmte Straße nicht nehmen solle, da dort eine Bombe gefunden wurde. Ich finde am nächsten Tag dazu nichts in der Zeitung. Ich habe das System der Wahlen nicht ganz verstanden, also habe ich ein wenig rumgefragt: Die Straßenstände, die mitFlaggen verschiedener politsicher Parteien, geschmückt sind, sind in der Tat Orte, bei denen man sich für die Wahl registriert. Auf meine Einwände, wie denn mit dem Wahlgeheimnis zu vereinbaren sei, werde ich wieder etwas ungläubig angestarrt: wir sind doch schlau, wir registrieren uns nicht unbedingt bei dem Stand der Partei, die wir wählen werden! Scheinbar haben die Inder mehr vertrauen in ihre Parteien als in den Staat? Oder was ist der Sinn, der “geschmückte“ Wahlstände? Obwohl auch bei uns ja die Parteien es sind, die Werbung dafür machen, dass die Bürger überhaupt zur Wahl gehen…. Man registriert sich übrigens mit seinem Daumenabdruck, da viele ja nicht schreiben können. Zu dem Ablauf der Wahl selber, wurde mir bestÄtigt, was ich aus einem Schreiben “Press this symbol” geschlossen habe: Es gibt einen Computer, der nur 4-5 Knöpfe hat (einen pro Partei), die jeweils mit dem Symbol der Partei gekennzeichnet sind. Man hat wie bei den Spielhallen eine Token, den man einwirft, um dann seine Wahl zu treffen.

Es wird schon nach zwei  Tage und den ersten Zählungen klar, dass Triamool in der Tat mit großem Vorsprung gewonnen hat. Somit wechselt West-Bengalen nach 32 Jahren die Führung. Alle, die ich gefragt habe, meinten es werde sich jetzt hoffentlich endlich etwas ändern, sicher sind sie sich nicht…. “Our main problem here is corruption and local problems”…Die Entmachteten

Zwei kurze Videos, um euch eine Idee von Kolkata in den Anfangen der Monsunzeit zu geben:

http://www.youtube.com/watch?v=mkZXogrTrt0

http://www.youtube.com/watch?v=LnYUPrUmU4Y

– Auf dem Programm heute: Weiterbildung der Polizeikräfte im Umgang mit Strassenkindern. Repräsentaten von Cini Asha, dem Child Welfare Comitee und der Juvenil Court halten Reden über den Umgang mit Minderjährigen Straftätern und Opfern. Innerhalb von 3 Stunden haben (gezählt!) 17 Polizisten-Handys mit voller Lautstarke geklingelt. Was bei fast 60 Teilnehmern echt ein guter Schnitt ist. Ich muss zugeben, dass die erste Power Point Folie und Präsentation auch bei uns in der Schule keine 4 bekommen hätte, aber das ist noch lange kein Grund für die Polizei auf solch respektose Weise den Statusunterschied zwischen Social Worker und ihnen zu betonen. Ich habe extra nochmal nachgefragt, ob es sich vielleicht doch um einen kulturellen Unterschied handelt und es in Indien eher normal ist, sein Handy klingeln zu lassen – nein, auch hier ist das respektlos.

– Etwas später bricht ein richtiges Wortgefecht aus, als gefordert wird, dass beim Umgang mit Kindern die Uniform abgelegt werden sollte. Ganz verstehen können die Polizisten das nicht. Sie meinen die Kinder sollten, statt sich vor der Polizei zu fürchten ( und das tun sie, weil sie oft sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben), verstehen, dass sich hinter der Uniform auch ein Mensch verbirgt. Nur – wie soll man dies Kindern beibringen? Auf jeden Fall wird dieser Punkt gute 10 Minuten besprochen und anschliessend verlässt eine Gruppe von 5 Polizisten einfach den Raum, sichtlich genervt.  Das Trainingsangebot ist eine sehr fortschrittliche Aktivität von CINI Asha.Eigentlich wird bei diesem Zusammntreffen deutlich, wie wichtig solch ein Training ist – für beide Seiten! Und was für ein verdammt langer Weg noch vor ihnen liegt – bis zur Zusammenarbeit.

– Morgens spielen wir, wie immer, 2 Stunden Carambole. Zur Zeit gibt es  wieder einige Jungens, die herrausragend spielen. Ich habe mich in den letzten Monaten allerdings auch sehr verbessert!  Anschliessend werden die Register der letzten beiden Jahre gefälscht, weil die Regierung diese plötzlich in neuem Format verlangt hat. Nur leider sind die Kinder schon alle weitergeleitet worden und können nun nicht unterschreiben (was meist nur bedeutet, dass sie ein Daumenabdruck hinterlassen). Das übernehmen also die derzeitigen Kinder: drücken mal feste, mal leicht auf, verwischen es ein wenig oder machen mal eine Unterschrift (mit drei verschiedenen Stiften). Kinder beim Falschen 2Kinder beim Falschen 1

Seit meiner Rückkehr  ist bei Cini Asha vieles anders:  Kollegen wurden ausgetauscht, die Gruppe der Kinder ist geschrumpft und mein Stundenplan ist etwas anders. Die kleinere Gruppe macht mir eigentlich mehr Spass, weil ich mehr Kontrolle über die Kinder habe und die Spiele tatsächlich auch mal funktionieren. Hinzu kommt, dass ich 7 Tage die Woche arbeite (ich muss meine Reise nach Shanghai nacharbeiten) und auch das macht es einfacher mit der Gruppe umzugehen, weil sie mich jeden Tag sehen.

Nach langem Hin und Her ist es uns endlich gelungen, die Direktion zu überzeugen, dass Svenja einen Teil der Woche hier bei mir arbeiten kann und wir außerdem 2 Mal die Woche in Ramagan, dem Rotlichtviertel, arbeiten können. Das ganze liegt zwar noch in der Zukfunft, aber hoffentlich in keiner allzu weiten. Der Entschluss ist zumindest gefasst.

Das Wetter ist sehr heiß geworden, wir haben Temperaturen von mindestens 35 Grad und zwei mal gingen sie hoch auf   41! Dies verbunden mit meiner 7 Tage-Woche führt dazu, dass ich sehr erschöpft bin und leider auch kaum Zeit für meinen Blog oder anderes finde. Ich werde versuchen zu berichten, immer wenn etwas interessantes passiert, aber mein Leben ist einfach nicht aufregend genug, um täglich ein Bild oder einen Text zu liefern. Ich hoffe das könnt ihr verstehen.Paul (Stand 14.10.2010)

– Vorfreude nimmt manchmal merkwürdige Formen an: Ich bin jetzt wegen meiner Reise nach Shanghai, wo ich mich einem Interview für einen Studienplatz an der französischen Universität Science Po stellen möchte, aufgeregter als vor meiner Abreise nach Indien.

– Ich habe 12 Stunden „Layover“ in Delhi, weil ich den billigsten Flug gebucht habe. Mir wird verboten im Ankunftsterminal zu warten (und zu schlafen) und das Abfahrtsterminal darf ich erst 3 Stunden vor Abflug betreten… Während ich also in einem Warteraum ausserhalb des Flughafen versuche, Schlaf zu finden, muss ich an den Film „The Terminal“ denken. Die Sitze sind sehr ungemütlich, das Licht ist grell und die Ansagen im 3 -Minuten Takt, lassen einen wirklichen Schlaf nicht zu. Ich drehe Beethoven’s 9te so auf, dass ich die Ansagen nicht mehr höre! (Ich habe das Problem, dass ich zum einschlafen oder arbeiten keine Musik mit Gesang hören kann… Ich muss dann immer automatisch mitsingen! Selbst bei klassischer Musik werde ich ständig dazu verleitet mitzusummen.)

– Neben mir versucht ein Nepali mit ähnlichem Misserfolg einzuschlafen. Irgendwann geht er Kaffee kaufen und bringt mit einen mit, während ich sein Gepäck beaufsichtige. Er hatte seine Ferien hinter sich und ist auf dem Weg zurück nach Kabul, wo er als Security Trainer arbeitete. Auf meine Fragen meinte er, dass es in Afghanistan nicht so extrem sei, wie es in den Nachrichten dargestellt wird. Es sei – fast – möglich ein normales Leben zu fuhren, nur halt immer mit der Angst. Es ginge in Afganistan viel besser als in Bagdad, da habe er vorher gearbeitet.

– Mir ist – vielelicht etwas spät im Leben – in Dehli auf einem klar geworden, warum in Toiletten oft alles mit Infrarot funktioniert. Wegen des Drecks und vor allem wegen der Bakterien – und das vor allem in Indien! Nur leider sind auf den Toiletten am Flughafen in Dehli, nur der ?!??!?Abzug?!?!? Infrarot auszulösen, um sich dann die Hände zu waschen, muss man den Wasserhahn anfassen…

– Ich habe am Delhi Flughafen eine Cornec getroffen – ich muss nicht sagen, dass sie aus der Bretagne kam… Und einen Inder auf dem Weg nach Paris. Shanghai bei Nacht

– Bei der Ankunft in der Familie Rao, bei denen ich meine ersten Wochen in China vor nun 5 Jahren verbracht habe,  fühle ich mich sofort wohl. Hier hat sich erstaunlich wenig verändert. Das heißt die Menschen haben sich wenig verändert – kein Familienmitglied hat sich die Haare wachsen lassen, oder einen Bart. Es ist fast ein wenig nostalgisch: das Essen, die Couch, die Erinnerungen. Ich bin erstaunt, wie viel Chinesisch ich noch zusammenkratzen kann, aber ich trauere leise meiner Aussprache nach… Die ist echt schlecht geworden. Auch kann ich viele Zeichen nicht mehr lesen, ich habe nur das Gefühl sie mal gekannt zu haben….Eine Strasse in Shanghai

– Ich habe in der letzen Zeit als Vorbereitung für mein Interview, sehr intensiv zwei Bücher gelesen. Zum einen „Was denkt China?“ von Mark Leonard, das ich nur allen empfehlen kann, die sich mit China befassen wollen. Mir hat dieses Buch in vielem die Augen geöffnet, weil es sich nicht darauf beschränkt aus Sicht der Europaer, den Aufstieg des Landes zu beschreiben, sondern auf sehr intelligente Weise auch erklärt, wohin sich China begibt. Nachdem ich dieses Buch 2-3 Mal gelesen hatte, ist mir klar geworden, dass ich eigentlich weiterhin Chinesisch lernen möchte, am liebsten mit dem Studium kombiniert. Das zweite Buch ist „The Argumentative Indian“ von Amartya Sen, dass etwas schwerer zu lesen ist,  doch ein sehr gutes Bild der indischen Identität und Zerrissenheit zeichnet und und sehr viele Probleme des Landes sehr genau analysiert. Manchmal etwas zu tiefgründig, sodass man die Passagen mehrmals lesen muss, um sie  zu verstehen…Saxophonspieler allein im Park

– Die ersten Tage in Shanghai mache ich eigentlich nichts. Ich verbringe den ganzen Tag damit, mich im Internet auf mein Interview vorzubereiten. Es sind eigentlich keine NachrichtenWebsites gesperrt, nur mit Google gibt es Probleme… Mir wird irgendwann mein Gmail account gesperrt (von Google). Zum Glück konnte Karin von Deutschland aus wieder aktivieren. Die Raos sehe ich nicht viel, denn alle haben tagsüber zu tun. Nur abends sitzen wir oft noch spät zusammen oder gehen aus essen.Shanghaier Spielplatz

– Nach meinem Interview habe ich noch einen Tag Zeit und schlendere duch die Stadt… Ich könnte nicht sagen, warum mich Shanghai so fasziniert. An sich ist es hier langweilig. Hier gibt es nicht soviel Elend, über das man an jeder Strassenecke stolpert, es gibt nicht so viele extreme Eindrücke, die man im Foto festhalten möchte und so außergwöhnliche alte Architektur gibt es nun wirklich nicht. Ich kann es schwer erklären, aber ich habe das Gefühl, dass der Mix aus westlichem Einfluss mit gewissen kulturellen chinesischen Überresten auf mich eine grosse Anziehungskraft ausübt.

Das wird mir nochmal ganz besonders klar, als ich  in einem Park in der Mitte von Shanghai sitzte. Von einem grossen Hügel klingt ein Saxophon herüber (nicht besonders gut, aber passable) oder auch mal ein Schrei (ich schätze als Entspannungsübung, um Stress abzubauen). Alte Menschen machen Übungen auf den dafür konzipierten Trainingsplätzen, bringen ihre Singvögel und reden einfach miteinander, andere erinnern sich ihrer Jugend mit einem Steinschleuderwettbewerb oder spielen Badminton. Wenn ich all das sehe und an meinen chinesischen Opa in Chengdu denke, dann glaube ich, dass es vieleicht schön ist, in diesem Land alt zu werden. Auf jeden Fall weniger stressig als in Indien.Man im Blutenlandschaft liest die Zeitung

Meine Liebe für China lebt neu auf.

– Der Rückflug ist eine Qual. Ich wurde gefragt, ob ich einen Fensterplatz haben möchte und ich habe wie immer ja gesagt. Dann stellt sich aber herraus, dass ich der letzte in der Reihe bin: also kein Fenster, aber was noch viel schlimmer ist 7 Stunden Flug und ich kann meinen Sitz nicht zurücklehnen, weil dahinter direkt die Wand ist.

– Ein paar Reihen vor mir diskutiert eine Amreikanerin mit einer Chinesin. Sie erklärte ihrer Sitznachbarin, warum ihrer Meinung nach China  Amerika nie überholen wird. Ihr Hauptargument war die chinesische Bürokratie, mit der sie anscheinend extreme Probleme gehabt hatte: nie bekommt man die Unterschrift die man braucht, die Öffnungszeiten sind unmöglich und ständig wird die Verantwortung delegiert. Für mich war diese Diskussion so interessant, weil ich auf der Rückfahrt von Bengaluru einem Inder erklärt hatte, dass Indien China als Weltmacht erst einholen könne, wenn es sich grundlegend verändert – vor allem seine Bürokratie reduziert.  Meine Argumentation war natürlich nicht nur auf die überbordende Bürokratie gestützt,  aber mir wurde klar, dass ich doch ähnlich argumentierte – und das als jemand, der aus einem Land kommt, das allgemein als über bürokratisiert gilt!!! Vielleicht liegen wir beide falsch – die Amerikanierin und ich. Wir vergessen einfach nur, dass wir in diesen Ländern Ausländer sind. Würden wir einen Pakistani in Deutschland fragen, was er von der Bürokratie dort hält, würde er sicher klagen, sich beschweren, dass du nie mit jemandem sprichst, der eine Entscheidung treffen darf. Und vielleicht fragt er sich sogar, wie wir unter diesen Umständen zu einem so weit entwickelten Land werden konnten. Abschliessend möchte ich noch anmerken, dass es nötig war, dass jemand mit China mein zweites Zuhause (nach Europa) angreift, um über meine eigenen Argumente nachzudenken.

– Bei dem Seminar ist auch der Gedanke aufgekommen, dass wir mit unseren 40 Euro Projektmittel eine Art „Miniaturentwicklungspolitik“ betreiben…

– Wir haben Geld, nicht viel, aber in Indien kann man damit schon eine ganze Menge machen. Der Bedarf ist überall offensichtlich. So haben die Kinder im Short Stay Home zum Beispiel kaum Spielzeug. So weit so gut – aber ist mit dem Kauf von Spielzeug den Kindern irgendwie geholfen? Wie funktioniert das mit der Hilfe? Das ist die Frage, die wir „Weltwärts-ler“ uns in diesem Jahr stellen und ein Thema zu dem wir etwas lernen.

– Ein klares Problem zum Beispiel ist, dass die Organisationen, die Mitarbeiter sehen : „Da ist Geld“. Dadurch gibt es natürlich die Möglichkeit von Ausbeutung, aber auch das Problem von Abhängigkeit. Was kann man tun, damit die Hilfe, die man ist oder die man mitbringt, nicht als selbstverständlich angesehen wird? Es gibt da verschiedene Ansätze: man kann zum Beispiel einen Austausch verlangen, nichts vom gleichen Wert, aber etwas was nur sie geben können und sei es etwas simples. Man gibt zum Beispiele einen Fussball, aber dafür muss auch ein Lehrer einmal die Woche richtiges Training organisieren… Diesen Ansatz findet man auch in der Entwicklungspolitik: Man versucht Mittel immer an Bedingungen zu knüpfen.

– Die vielen Probleme, die man nicht mit einplanen kann, führen oft dazu, dass Projekte nur zu 20% funktionieren. Mein Basketballtraining ist eines dieser Beispiele. Ich hatte schon lange geplant ein Basketball Training aufzubauen, denn die Kinder haben Karate und Meditation, aber keinen Mannschaftssport. Der Platz auf dem Dach bot sich dazu an, nur musste man erst ein Netz darüber spannen, damit die Bälle nicht von 4 Stock jemanden erschlagen. Um dafür die Erlaubnis  einzuholen, brauchte ich fast einen Monat. Denn ständig fehlte jemand vom Team und entschieden werden konnte nur, wenn alle drei zusammen waren! Dann sollte es 2 Wochen dauern das Netz anzubringen, das verzögerte sich dann noch einmal um 10 Tage… Wer dafür verantwortlich war, ist nicht wirklich klar. Dann hing Ende Februar das Netz endlich, nur leider war es zum einen jetzt schon viel zu warm, um tagsüber eine Stunde zu trainieren (dran hätte ich vielleicht auch denken können – also ein Planungsfehler meinerseits), aber viel schlimmer war, dass das Half-Way-House kurz darauf geschlossen wurde! Die Gruppe, die länger betreut wurde und für die es sich lohnen würde richtiges Training aufzubauen, ist nun aufgelöst. Man hat ein grosses Projekt geplant und gibt muss sich im Endeffekt mit 20% zufrieden. Das ist wie mit den Wasserpumpen, die nur 20% der erwarteten Leistung bringen, wegen fehlender Planung, Information, etc. Natürlich ist 20% besser als nichts und die Kinder des Short-Stay-Home sind sehr glücklich mit dem Netz und den Basketballkörben, nur mein pädagogischer Ansatz kommt etwas zu kurz!

– Dieses Beispiel ist kein Einzelfall und einige aus unserer Gruppe haben noch viel schlimmere Geschichten erzählt, aber diese Probleme helfen uns, die Schwierigkeiten von Entwicklungspolitik nachzuvollziehen.

– Eine der grössten Ängste für die meisten, die hier in Indien ihr soziales Jahr absolvieren  – mich eingeschlossen – ist die Rückkehr nach Deutschland. Als ich hierher gekommen bin, habe ich vieles hinter mir gelassen: Freunde, Schul-/Uni-Leben, alltägliche Pflichten, etc. Hier in Indien haben wir uns parallel dazu ein “zweites Leben” geschaffen. Mit anderen Freunden, alltäglichen Pflichten, etc.  Diese Lebenselemente sowie die Probleme und Konflikte sind einer ganz anderen Ordnung.

– Offensichtlich wird das bei Diskussionen mit alten Freunden… Ich kenne ihre Probleme, es waren auch mal meine,  und sie werden es sicher auch wieder sein – nur scheinen sie mir im Augenblick aus einem anderen Leben zu kommen, sie haben nichts mehr mit mir zu tun…. Manchmal fällt es mir auch schwer, sie ernst zu nehmen….  Daher die Angst, bei der Rückkehr nicht mehr in sein altes Leben zu finden!

– Ich kenne diese Angst ja bereits, von meiner Zeit in China. Und ich gebe mir diesmal alle Mühe, die Freundschaften nicht “einschlafen“ zu lassen. In China habe ich das versäumt, und ich glaube es hat mich einiges gekostet. Der Blog ist ein Versuch alle auf dem Laufenden zu halten, kleine Einblicke in mein Leben zu geben, um zu zeigen, dass ich nicht irgendwo vom Erdball verschluckt wurde, sondern mich weiterentwickele. Ich hoffe auch, mit dem Blog diese Entwicklung verständlicher zu machen, damit ich nicht wie ein Fremder zurückkomme.

– Naja, Sicherheiten gibt es dafür nicht, aber wie viele bei dem Seminar immer wieder gesagt haben: “ Maybe it wasn’t meant to be…”. Ich versuche nur möglichst wenig dem Zufall zu überlassen!